BRK-Staatenprüfung bei den Vereinten Nationen in Genf

Am 26. und 27. März 2015 fand die Staatenprüfung bei den Vereinten Nationen in Genf zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung (BRK) durch die Bundesrepublik Deutschland statt. Genf ist der Hauptsitz der Vereinten Nationen und liegt in der Schweiz.

Ulrich Hase, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten - Selbsthilfe und Fachverbände e. V. (DG), nahm gemeinsam mit der DG-Referentin Susanne Dürkop an diesem wichtigen Ereignis teil und berichtet in diesem Beitrag über vielfältige Eindrücke.

Der Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf

Der Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf

Zur Erinnerung: Am 26.03.2009 war die BRK in Deutschland in Kraft getreten. Auf den Tag genau 6 Jahre später musste Deutschland erstmals gegenüber dem UN-Fachausschuss für die Rechte der Menschen mit Behinderung Rede und Antwort stehen.
Die wesentlichen Fragen der Staatenprüfung:
Wie hat die Bundesregierung die UN-Konvention in Deutschland bisher umgesetzt und was ist noch zu tun?

Dass es der Bundesregierung sehr wichtig war, in Genf einen guten Eindruck zu hinterlassen und Fragen gezielt beantworten zu können, zeigte die hohe Zahl der über 30 anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Regierungsdelegation aus Bund und Ländern unter der Leitung der Parlamentarischen Staatssekretärin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Gabriele Lösekrug-Möller.

BMAS-Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller mit Ulrich Hase.

BMAS-Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller mit Ulrich Hase. Links im Bild Dr. Thorsten Hinz, Geschäftsführer der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. Dieser Verband ist ebenfalls Mitglied der DG.

Auch behindertenpolitische Sprecherinnen und Sprecher von Bundestagsfraktionen, die Bundesbeauftragte Verena Bentele, ein Vertreter der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Monitoringstelle beim Deutschen Institut für Menschenrechte nahmen an der Staatenprüfung teil.
Die Monitoringstelle konnte übrigens in Genf in eigener Sache Erfreuliches berichten: Vor wenigen Tagen hatte das Bundeskabinett eine Gesetzesvorlage zur weiteren Finanzierung der Monitoringstelle beschlossen.

Als Vertreter der sogenannten Nichtregierungsorganisationen war auch eine Delegation der BRK-Allianz, zu der auch Ulrich Hase mit Susanne Dürkop gehörte, nach Genf eingeladen worden.

Die Delegation der BRK-Allianz

Die Delegation der BRK-Allianz

Die BRK – Allianz

hatte sich in Unzufriedenheit mit dem Staatenbericht der Bundesregierung unter der Regie des Netzwerkes Artikel 3 im Januar 2012 gegründet. 78 Bundesverbände der Menschen mit Behinderung gehören der BRK-Allianz an.
Wesentliches Ziel der Allianz: dem Bericht der Bundesregierung einen eigenen Bericht der Menschen mit Behinderung gegenüberzustellen. Der sogenannte Schattenbericht der BRK-Allianz (Erster Bericht der Zivilgesellschaft zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Deutschland) ist 2013 verabschiedet worden (siehe auch: www.brk-allianz.de).

Es war nicht nur für die Verbände der Hörgeschädigtenarbeit ein schwerer Weg, ihre unterschiedlichen Interessen in diesem Bericht unter einen Hut zu bringen. Dass dies gelungen ist, ist vor allem der Verabredung geschuldet, weitgehend auf die Darstellung von Einzelinteressen zu verzichten und sich auf zentrale Themen zu konzentrieren.

Dr. Sigrid Arnade und Günter Heiden

Dr. Sigrid Arnade und Günter Heiden hatten als Koordinatoren des Schattenberichts eindrucksvolle Arbeit geleistet.

Am Abend des Anreisetages der Delegierten (25.03.2015) fand ein Empfang für die deutsche Delegation in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Genf statt.
Der Gesandte der Bundesrepublik Deutschland Dr. Thomas Fitschen hatte zu diesem Abend anlässlich der Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention eingeladen.

Während des Empfangs wurden interessante wie informative Gespräche geführt. Ulrich Hase nahm diese Gelegenheit wahr, sowohl mit der Staatssekretärin Lösekrug-Möller als auch mit anderen Verantwortlichen verschiedener Ministerien der Bundesregierung über besondere Anliegen hörgeschädigter Menschen anzusprechen. Er erkundige sich auch zu den Plänen für ein künftiges Bundesteilhabegesetz sowie zum Bundesteilhabegeld

Ulrich Hase im Gespräch mit Rolf Schmachtenberg

Ulrich Hase im Gespräch mit Rolf Schmachtenberg, BMAS-Abteilungsleiter Behindertenhilfe, zum Bundesteilhabegesetz

Teilhabegesetz – Teilhabegeld – Gehörlosengeld – Vermögensunabhängigkeit – Entlastung der Kommunen ??? Wer blickt da noch durch?

In den letzten Monaten hatten sich viele Verbände der Hörgeschädigtenarbeit, vor allem der Deutsche Gehörlosenbund und der Deutsche Schwerhörigen-Bund mit ihrem Dachverband, der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten - Selbsthilfe und Fachverbände, für ein einkommensunabhängiges Teilhabegeld engagiert.
Viele hochgradig hörgeschädigte Menschen hatten sich bereits hierzu Hoffnungen gemacht. Dann erreichte uns vor wenigen Tagen die Meldung, dass es dazu nicht kommen werde.

Zu den genaueren Hintergründen:

14 Mrd. Euro geben die Kommunen mittlerweile jährlich für Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung aus. Auch aufgrund dieser hohen und jährlich steigenden Kosten hat der Bund den Kommunen eine Entlastung von 5 Mrd. Euro zugesagt.
Wichtig: Diese Entlastung war nicht damit verbunden, dass die 5 Mrd. Euro ausschließlich für Menschen mit Behinderung verwendet werden!

Genau hierzu bestanden viele Missverständnisse. Denn klar war eigentlich in Regierungskreisen immer: das Geld ist bestimmt für die Kommunen – nicht jedoch für die Schaffung neuer zusätzlicher Ansprüche und Kosten! Von Kostenneutralität war die Rede. Allerdings war die Entlastung in Höhe von 5 Mrd. Euro damit verknüpft worden, dass die Kommunen an einer grundlegenden Reform der Eingliederungshilfe mitwirken.

Letzte Woche kam dann die Botschaft:
Der Bundesfinanzminister hat entschieden, dass die Entlastung der Kommunen in Höhe von 5 Mrd. ganz unabhängig von einer Reform der Eingliederungshilfe geschieht! Das heißt: die Förderung der Träger der Eingliederungshilfe durch den Bund steht in keinem Zusammenhang mehr mit der Behindertenhilfe.

Die Folge: Durch die Entkopplung dieses Betrages von der Eingliederungshilfe ist grundsätzlich klar, was Insidern auch vorher schon bekannt war: Das Geld steht nicht mehr für Reformvorhaben zur Verfügung und für Vorhaben zur Förderung von Menschen mit Behinderung muss „neues Geld“ organisiert werden.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat auch in Genf das im Koalitionsvertrag der Bundesregierung angekündigte Vorhaben bekräftigt, dass es ein Bundesteilhabegesetz geben wird!
Zu den Inhalten eines solchen Bundesteilhabegesetzes wurden jedoch keine eindeutigen Aussagen getroffen! Es kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Der Verfasser dieses Artikels geht jedoch davon aus, dass es zumindest zu einer Anhebung der Einkommens- und Vermögensgrenzen bei Leistungen für Menschen mit Behinderung kommen wird.

Auch gehen die Aussagen dazu auseinander, wie viel Mittel Reformvorhaben für Menschen mit Behinderung zur Verfügung stehen werden. Hierzu wurden am Rande der Tagung in Genf sehr unterschiedliche Beträge genannt.

Jedenfalls war seitens der Vertreter der Bundesregierung in Genf von einem Teilhabegeld oder Gehörlosengeld nicht die Rede.

Schon kurz vor dem Genfer Staatendialog ist sowohl vom Deutschen Behindertenrat als auch von Verbänden der Menschen mit Behinderung mit unseren Hörgeschädigten-Verbänden sowie von Beauftragten für Menschen mit Behinderung auf diese Situation reagiert worden.
Einigkeit besteht in der Forderung der Weiterentwicklung des Teilhaberechts für Menschen mit Behinderung und eines Bundesteilhabegeldgesetzes.

Tagungsstätte der Staatenprüfung: der Genfer Palais Wilson

Tagungsstätte der Staatenprüfung: der Genfer Palais Wilson

Am Vormittag des Folgetages (26.03.2015) erhielten die Vertreter der Allianz Gelegenheit zu Gesprächen mit den 17 Mitgliedern des UN-Ausschusses sowie mit Diane Kingston als zuständiger Berichterstatterin des UN-Ausschusses zur Prüfung von Deutschland.
Ziel dieser Gespräche war es, über die grundsätzlichen wie übergreifenden Anliegen der Menschen mit Behinderung zu informieren und die Ausschussmitglieder auf die folgende insgesamt 6-stündige Anhörung der Regierung vorzubereiten.
Hier wurde auch das Problem der Anrechnung des Einkommens und Vermögens auf Leistungen für Menschen mit Behinderung erläutert und die Frage aufgeworfen, wie viel Geld überhaupt noch für Verbesserungen zur Situation von Menschen mit Behinderung durch ein wirksames Bundesteilhabegesetz zur Verfügung steht.

Ulrich Hase sprach vor Beginn der Staatenprüfung einzelne Ausschussmitglieder, vor allem die Berichterstatterin Diane Kingston, direkt auf Anliegen hörgeschädigter Menschen an. Ein längeres Gespräch zu Fragen der schulischen Inklusion hörgeschädigter Menschen, der Einbeziehung von Gebärdensprache an Schulen sowie der Finanzierung von Dolmetschleistungen im Studium führte er mit Lászlo Gábor Lovaszy aus Ungarn, dem einzigen selbst hörgeschädigten Mitglied des UN-Ausschusses.
In diesen Gesprächen gegebene Informationen wurden dann auch im späteren Staatendialog aufgegriffen.

Dr. Ulrich Hase im Gespräch mit dem Ausschussmitglied Lovaszy.

Im Gespräch mit dem Ausschussmitglied Lovaszy zu Anliegen hörgeschädigter Menschen in Deutschland

Die Anhörung der Vertreter der Bundesregierung (der Staatendialog) dauerte dann am Nachmittag des gleichen Tages von 15 bis 18 Uhr und wurde am Folgetag (27.03.2015) von 10 bis 13 Uhr fortgesetzt.

Der Staatendialog wurde auch im Internet übertragen und in Deutscher Gebärdensprache sowie in Internationalen Gebärden übersetzt.

Bundesbeauftragte Bentele, AL Schmachtenberg, Staatssekretärin Lösekrug-Möller

Ausschussmitglieder der UN sowie die Delegation der Bundesregierung und Landesregierungen im Plenarsaal, am Pult oben (von rechts nach links) die Bundesbeauftragte Bentele, Abteilungsleiter Schmachtenberg, Staatssekretärin Lösekrug-Möller, links im Bild stehend die beiden Gebärdensprachdolmetscher

Informationen zum Verfahren der Staatenprüfung

Das Verfahren zur Staatenprüfung ist in vier Stufen geregelt.

1. Stufe:

Vorlage des Staatenberichtes der Bundesrepublik Deutschland

(Vom Bundeskabinett beschlossener Erster Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland vom 3. August 2011; siehe: www.bmas.de)

2. Stufe:

„List of Issues“

Am 23. April 2014 hatte der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen die List of Issues an die Bundesregierung gesandt. Es handelt sich hier um vertiefende Fragen zum deutschen Staatenbericht. (siehe: www.gemeinsam-einfach-machen.de)

3. Stufe

Die in Genf durchgeführte Anhörung, der sogenannte Staatendialog.

4. Stufe

„Abschließende Bemerkungen“

Während des Staatendialogs in Genf ist angekündigt worden, dass der UN-Fachausschuss voraussichtlich am 10. April 2015 in den sogenannten „Abschließenden Bemerkungen“ Empfehlungen an den Bund, die Länder und Kommunen aussprechen wird, wie die Rechte von Menschen mit Behinderung in Deutschland besser verwirklicht werden können.

Grundlagen zum Staatendialog waren nicht nur der Staatenbericht sowie die Antworten der Bundesregierung auf die „List of Issues“. Darüber hinaus wurden auch der Schattenbericht der BRK-Allianz, der Parallelbericht der Monitoringstelle (siehe: www.institut-fuer-menschenrechte.de) sowie Stellungnahmen der BRK-Allianz sowie der Monitoringstelle zu den Antworten der Bundesregierung auf die „List of Issues“ herangezogen.

Ein wichtiger Hinweis:
Während des Staatendialogs haben die Verbände der behinderten Menschen kein Rederecht!

Der Staatendialog wurde durch einige Vorträge eingeleitet:

Staatssekretärin Lösekrug-Möller gab einen Überblick zur bisherigen Umsetzung der BRK in Deutschland und wies unter anderem darauf hin, dass der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung bis Ende 2015 auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Evaluation überarbeitet und das Ergebnis danach dem Bundesparlament vorgestellt werden wird.
Aktuell stehe die Erarbeitung eines Bundesteilhabegesetzes mit dem Ziel an, die Eingliederungshilfe weiter zu entwickeln. Bis 2016 solle der Gesetzentwurf vorliegen.
Außerdem solle das Bundesgleichstellungsgesetz reformiert werden. Sie hob die Wichtigkeit der Beteiligung der Organisationen behinderter Menschen hervor und kündigte an, dass es ein Gesetz zur Finanzierung der Organisationen behinderter Menschen geben werde, damit deren Arbeit „auf eine solide Basis“ gestellt werden könne. „Wir wollen mehr Teilhabe für alle und ein inklusives Deutschland“, so die Staatssekretärin.

Die Bundesbeauftragte für die Belange behinderter Menschen, Verena Bentele, ging in ihrer anschließenden Rede auf den Wahlrechtsausschluss von schwerstbehinderten Menschen als nicht vereinbar mit der BRK ein. Sie betonte die Wichtigkeit des Schutzes von Menschen mit Behinderung vor Gewalt und Missbrauch. Jede zweite Frau mit Behinderung erfahre sexualisierte Gewalt. Empowermentkurse für Frauen und Mädchen mit Behinderung seien daher besonders wichtig. Für Bildung und Hochschulbildung wolle sie gemeinsame Standards. Sie kritisierte, dass die Zahlen behinderter Menschen an den Förderzentren gleich geblieben seien und dass 300.000 Menschen in Werkstätten für Menschen mit Behinderung keinen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt finden. Auch seien zur Herstellung von Barrierefreiheit erhebliche Anstrengungen notwendig.

Der Leiter der Monitoringstelle, Dr. Valentin Aichele, bemängelte in seiner Rede vor allem die Trennung von Menschen mit und ohne Behinderung in den Bereichen Bildung, Unterbringung und Arbeitsmarkt. Er betonte die Notwendigkeit struktureller Veränderungen und wünschte dazu Ideen wie Ermunterung durch den UN-Ausschuss.

UN-Berichterstatterin für Deutschland Diane Kingston lobte zunächst die pünktliche Ablieferung des sehr detaillierten Staatenberichtes durch die Bundesrepublik Deutschland und gratulierte zum Nationalen Aktionsplan. Sie brachte auch ihre Freude darüber zum Ausdruck, dass die Gebärdensprache in Deutschland anerkannt sei! Sie würdigte den Schattenbericht der BRK-Allianz, ohne den sie keinen umfassenden Überblick bekommen hätte.

Kritisch ging sie auf die unterschiedliche Umsetzung der BRK in den Bundesländern ein. Hier zeigte sie sich besorgt über den „Mangel an Koordination zwischen Bund und Ländern“.
Die Menschenrechtsperspektive sei nicht durchgängig beachtet, da besondere Gruppen von Menschen mit Behinderung „marginalisiert“ (an den Rand der Gesellschaft gedrängt) würden.
Denn Menschen mit Behinderung müssten in allen Bereichen Inklusion genießen können.
Sie sprach die Notwendigkeit an, ein inklusives Bildungssystem voranzutreiben und bemängelte die höhere Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung im Vergleich zu nicht behinderten Menschen in Deutschland. Zu viele Menschen mit Behinderung würden in Heimen leben, denn nach wie vor sei die Zahl von Menschen mit Behinderung in Heimen konstant geblieben. Sie kritisierte, dass in Deutschland jährlich 14 Mrd. Euro für Menschen mit Behinderung in Heimen ausgegeben würden, jedoch nur 2,5 Mrd. Euro für Menschen mit Behinderung, die außerhalb von Heimen leben.
Außerdem wies sie auf die Notwendigkeit hin, dass Menschen mit Behinderung in Deutschland rechtlich selbständig entscheiden können müssen und nicht unter Vormundschaft leben sollten. Sie wandte sich gegen Gewalt und Missbrauch von Menschen mit Behinderung und forderte Verbesserungen des Zugangs zur Justiz.
Am Beispiel der Zurückweisung eines Menschen mit Behinderung im Rollstuhl anlässlich eines Berliner Marathons stellte sie fest: Nicht alle Menschen akzeptieren in Deutschland die BRK.

Im Anschluss an diese Ansprachen wurde in der Reihenfolge der Artikel der BRK fortgefahren. In drei Themenblocks (zu Art. 1 bis 10, zu Art. 11 – 20 und zu Art. 21 – 33) stellten die Ausschussmitglieder zunächst ihre Fragen. Nach den Fragen wurde die Anhörung jeweils für 10 bis 15 Minuten unterbrochen, damit die Regierungsmitglieder ihre Antworten vorbereiten konnten.

Gefragt wurde zu fast allen Artikeln der BRK. Die Vielzahl der Fragen kann hier nicht dargestellt werden. Stattdessen sollen Fragenschwerpunkte aufgezeigt werden.

Der UN-Ausschuss hat sich vor allem mit den Sonderstrukturen für Menschen mit Behinderung in Deutschland auseinander gesetzt. Hier hinterfragte er intensiv die Bereiche Schulen, Arbeit und Wohnen und erkundigte sich nach Förderwegen, Menschen mit Behinderung ein inklusives Leben in diesen Bereichen zu ermöglichen.
Viele Fragen bezogen sich auf Menschen mit Behinderungen in Werkstätten sowie die im Vergleich zu nicht behinderten Menschen höhere Arbeitslosigkeit.
Dass infolge der Bildungshoheit bei den Ländern inklusive Entwicklungen im Schulwesen recht unterschiedlich ausgeprägt sind, stieß bei vielen Ausschuss-Mitgliedern auf Unverständnis. Man erkundigte sich in diesem Zusammenhang auch nach den Aktionsplänen in den Bundesländern und äußerte sich kritisch dazu, dass es im Bundesland Sachsen bisher keinen Aktionsplan gibt.

Ein weiterer Schwerpunkt war der Schutz von Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung. Es wurde mehrfach nach Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung gegenüber Menschen mit Behinderung gefragt. Interessant waren auch solche Wortbeiträge, die sich auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Deutschland beziehen. Dieses Gesetz regelt Diskriminierung im Berufsleben, nicht jedoch in privaten Bezügen. Was wird unternommen, damit Menschen mit Behinderung auch im Privatleben vor Diskriminierung geschützt werden?
Art. 2 BRK regelt, dass Diskriminierung auch das Versagen „angemessener Vorkehrungen“ umfasst. Dies steht im Widerspruch zu deutschen Bestimmungen, die eine Diskriminierung durch Verweigerung solcher Vorkehrungen nicht beinhalten. Hierauf wurde mehrfach durch Fragen nach neuen gesetzlichen Regelungen Bezug genommen: Ist ein Gesetz zur Verwirklichung „angemessener Vorkehrungen“ geplant? Wie definieren Sie in Deutschland angemessene Vorkehrungen? Sind „angemessene Vorkehrungen“ einklagbar?

Auch der Bereich Finanzen stand mehrfach im Mittelpunkt des Interesses: Welche Summen sind als zusätzliche Ressourcen (Art. 4 Abs. 2 BRK) für die Zivilgesellschaft vorgesehen? Ist Assistenz umsetzbar, ohne dass Familien hinzuzahlen müssen?

Die Umsetzung von Barrierefreiheit in Deutschland wurde in verschiedenen Zusammenhängen hinterfragt. Themen waren unter anderem Barrierefreiheit im Flugverkehr, Barrierefreiheit von Arztpraxen und Frauenhäusern oder die Umsetzung des „universellen Designs“ in Technik und Forschung. Richtungsweisend war die Frage danach, ob Sanktionen erfolgen, wenn Barrierefreiheit nicht realisiert wird.

Einen breiten Raum nahm die Situation von behinderten Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund ein: Wie sieht die Situation der Flüchtlinge mit Behinderung in Deutschland aus? Sind Menschen mit posttraumatischen Beeinträchtigungen in Behinderung einbezogen? Stehen alle Sozialleistungen auch Flüchtlingen zur Verfügung? Sind hierzu gesetzliche Reformen geplant?

Weitere Themen, die im Mittelpunkt des Interesses standen:
Schutz vor Gewalt, insbesondere für Frauen und Kinder mit Behinderung, die Praxis der Zwangsunterbringung und- behandung in der Psychiatrie und sehr intensiv das System der rechtlichen Betreuung.

Immer wieder erkundigten sich die Ausschussmitglieder nach konkreten Daten, z. B. zur Umsetzung von Barrierefreiheit, zur Situation von Flüchtlingen mit Behinderung oder zur Anzahl an Diskriminierungen. Da viele dieser Fragen nur unzureichend beantwortet werden konnten, besteht hierzu noch erheblicher Erfassungsbedarf.

Das Thema Hörschädigung im Staatendialog

Diane Kingston, UN-Berichterstatterin, und zwei andere Ausschussmitglieder lobten die Anerkennung der Gebärdensprache in Deutschland ...

Hierauf wurde in der Antwort der Regierungsdelegation nicht eingegangen. Es wurde deshalb auch nicht darüber informiert, dass die Anerkennung der Gebärdensprache in Deutschland schon einige Jahre vor Inkrafttreten der BRK vollzogen worden ist.)

Gefragt wird nach der Anzahl von Gebärdensprachdolmetschern in Deutschland.

(Die Regierungsdelegation konnte diese Frage nicht beantworten.)

Ein Ausschussmitglied fragte nach der Verankerung des Rechts auf Gebärdensprache in den Medien. Untertitelung reiche nicht aus. Sei geplant, in diesem Zusammenhang neue gesetzliche Regelungen zu treffen?

(Ein Vertreter der Regierungsdelegation weist in seiner Antwort darauf hin, dass sich die Situation der Untertitelung in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Beim öffentlichen Fernsehen würden 93 % untertitelt, Jahre 2012 waren es 49 %. Auch Gebärdenspracheinblendung habe zugenommen. Hier verweist er auf phoenix.)

Gefragt wird nach dem gleichberechtigten Zugang zum Notrufsystem durch taube Menschen in Deutschland.

(In der Antwort wird auf das System des Notfallfaxes hingewiesen. Außerdem bestehen Überlegungen zu Notfall-Apps per SMS. Man gehe davon aus, dass dies noch in diesem Jahr fertig gestellt werden wird.)

Können hörgeschädigte Menschen vor Gericht nach ihrer Wahl kommunizieren?

(Hingewiesen wird auf das Recht auf Gebärdensprachdolmetschen im Gerichtswesen.)

Ist der Zugang zu deutschen Hochschulen durch Gebärdensprach- und Schriftdolmetscher gesichert? Wird im Hochschulrahmengesetz der Einsatz von Gebärdensprach-Dolmetschern gewährleistet?

(In der Antwort wird auf bald 9 Hochschulen hingewiesen, an denen Gebärdensprachdolmetschen gelehrt wird.)

Können hörgeschädigte Menschen in deutschen Krankenhäusern Gebärdensprach-Dolmetscher bekommen?

(In der Antwort wird auf das Recht auf Gebärdensprache nach dem SGB I hingewiesen.)

In einer anderen Antwort wurde seitens der Regierungsdelegation darauf hingewiesen, dass eine Untersuchung zur Gewalt an gehörlosen Frauen stattfindet, die kurz vor dem Abschluss ist.
Es sei hier eine Hotline eingerichtet worden, die täglich 24 Stunden erreichbar sei.

Zum Schluss des Staatendialogs bedankte sich Staatssekretärin Lösekrug-Möller bei allen Beteiligten für deren Engagement und betonte das Ziel, „der Inklusion Stück für Stück näher zu kommen“. Hierzu sei Ausdauer und Beharrlichkeit wichtig.
Als besondere Herausforderungen stellte sie unterschiedliche Zuständigkeiten, finanzielle Grenzen aber auch Ängste heraus. Das Ziel der Inklusion sei nur zum Wohl der Menschen mit und ohne Behinderung erreichbar, „wenn wir die Gesamtgesellschaft mitnehmen“.
Der Staatendialog sei Ansporn gewesen, Inklusion in Deutschland noch intensiver zu gestalten.

Dr. Valentin Aichele von der Monitoringstelle würdigte den offenen Dialog, wies aber auch darauf hin, dass in Deutschland noch viel zu tun sei. Die Menschenrechtskonvention sei noch nicht vollständig anerkannt. Hier nannte er u. a. die Bereiche Geschäftsfähigkeit, inklusive Arbeit, den Schutz von Frauen und Mädchen mit Behinderung sowie die Vermeidung von Fixierungen. Er betonte die Wichtigkeit der späteren Empfehlungen des UN-Ausschusses, die unbedingt in die weitere Entwicklung einbezogen werden sollten und an denen die Monitoringstelle arbeiten werde.

Diane Kingston lobte abschließend die Offenheit während des Staatendialogs und sehr viele gute Initiativen Deutschlands. Danach betonte sie ihr besonders wichtige Handlungsbereiche:
Ausreichende Ressourcen, auch für inklusive Bildung; Universelles Design; das Betreuungsrecht; Ausbildung der Justiz; angemessene Vorkehrungen, die nicht vom Einzelfall abhängig gemacht werden sollten und mehr Anreize für den ersten Arbeitsmarkt.

Bemerkungen zum Staatendialog

Zunächst: Es war ein überaus arbeitsintensiver wie anstrengender Staatendialog. Beindruckend waren sowohl das disziplinierte Verfahren während der Tagung als auch die Informiertheit der UN-Ausschussmitglieder.

Die hohe Zahl der Delegierten der Bundesregierung, deren fachkundigen Antworten, Offenheit für kritische Fragen als auch das Eingeständnis, dass noch viel zu tun ist, wirkten positiv.

Dennoch: Die Menge der Fragen und Antworten im Verhältnis zur kurzen Zeit von 6 Stunden hatte zur Konsequenz, dass viele Fragen lediglich oberflächlich, unzureichend oder auch gar nicht beantwortet werden konnten. Es stand auch keine Zeit zur Verfügung, Antworten der Regierungsdelegation zu hinterfragen oder genauer nachzufassen.
Dies erscheint umso problematischer, wenn fremdsprachliche Barrieren sowie unterschiedliche Rahmenbedingungen (besonders deutlich wurde dies hinsichtlich des deutschen Betreuungsrechts im Verhältnis zur „Gleichen Anerkennung vor dem Recht“ des Art. 12 BRK) zu Verständnisproblemen führen, die nur mit genügend Zeit ausgeräumt werden können.

So entstand der Eindruck, dass das durchaus beeindruckende Fragen- wie Informationspensum einer intensiven Auseinandersetzung im Wege stand und ein positiveres Gesamtbild erzeugte, als es der Realität entspricht. Dass der „Teufel bekanntlich im Detail steckt“, machen schon die Antworten zur Situation hörgeschädigter Menschen exemplarisch deutlich:

Es stimmt: Die Untertitelsituation hat sich in den letzten Jahren in Deutschland deutlich verbessert. Aber gefragt worden war nach Gebärdensprache im Fernsehen. Gebärdensprache bei phoenix gab es schon lange vor Inkrafttreten der UN-Konvention – und darüber hinaus?

Es stimmt: Hörgeschädigte Menschen können an deutschen Hochschulen Dolmetschleistungen bekommen. Aber die Antragswege sind oft beschwerlich. Wie sieht es aus beim Zweitstudium, bei Auslandspraktika oder im Promotionsstudium?

Es stimmt durchaus auch, dass in Gerichtsverfahren oder im Gesundheitswesen Dolmetscher finanziert werden können. Wir wissen aber von zahlreichen Schwierigkeiten in diesen Bereichen, die dem Recht auf Verständigung entgegenstehen.

In Genf ging es um die Situation von Menschen mit Behinderung in Deutschland, ohne dass Behinderungen differenziert betrachtet werden konnten. Tatsächlich finden wir uns als hörgeschädigte Menschen in vielen der angesprochenen Themen wieder und es ist durchaus richtig, mitunter eigene spezielle Gesichtspunkte zurückzustellen.

Dennoch: Fragen zur Beseitigung von Kommunikationsbarrieren sowie das Ziel, Inklusion mit Gebärdensprache zu erreichen, wurden während der Staatenprüfung in der Kürze der Zeit und bei der Fülle der Themen allenfalls gestreift und oberflächlich behandelt.
Es ist offensichtlich, dass hierzu noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muss.

 

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