Änderung der Fernsehgebührenordnung - Brief des Bundesbeauftragten

Auch der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen hat an die Landesregierung NRW geschrieben. Landesregierung NRW
Frau Staatssekretärin für Europa,
Internationales und Medien
Prof. Dr. Miriam Meckel
Staatskanzlei
Stadttor 1

40219 Düsseldorf



Sehr geehrte Frau Professor Meckel,

wie viele behinderte Menschen und ihre Verbände habe auch ich als Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen die Meldung in der Süddeutschen Zeitung vom 5. Mai, wonach geplant sei, die generelle Rundfunkgebührenbefreiung für behinderte Menschen aufzuheben, mit Aufmerksamkeit gelesen.

Angesichts des notwendigen Umbaus sozialer Sicherungssysteme und einer Zeit, in der sich tagtäglich die Frage stellt, wie die insgesamt wachsenden Belastungen für den Einzelnen auf sozial gerechte Weise gestaltet werden müssen, ist es meiner Ansicht nach prinzipiell zulässig, auch bei behinderten Menschen über generelle Befreiungstatbestände kritisch nachzudenken und zu fragen ob statt dessen die individuelle Bedürftigkeit und der tatsächlichen Nachteilsausgleich zu Grunde zu legen ist.

Im vorliegenden Fall ist die Sachlage jedoch komplexer und ich möchte einige der Argumente, die es bei der Entscheidung dieser Frage zu wägen gilt, aufführen. Rundfunk und Fernsehen sind in der heutigen Zeit für viele behinderte Menschen ein Mittel um die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sicherzustellen. Dies sind die Ziele, die sich in den Gleichstellungsgesetzen des Bundes (BGG) und der Länder um im SGB IX widerspiegeln. Das im SZ-Artikel zitierte Urteil des Bundessozialgerichts datiert vom 28.06.2000, kann also noch nicht die aktuelle Gesetzeslage berücksichtigt haben. Das BGG sieht die Schaffung einer umfassenden Barrierefreiheit vor, dies schließt Kommunikationsbarrieren ein.

Gerade die öffentlich-rechtlichen Sender sehe ich bei der Umsetzung dieser Vorgabe in einer besonderen Pflicht.

Seit Einführung des digitalen Fernsehens wurden z.B. durch den Wegfall von Audiodeskription für blinde und sehbinderte Menschen neue Barrieren aufgebaut, ohne dass für dieses Problem von Anfang an Lösungen konzipiert wurden.

Während sich jedoch für o.g. der Inhalt von Fernsehsendungen zumindest über die Sprache erschließt, sind gehörlose oder hochgradig schwerhörige Menschen noch viel stärker benachteiligt. Rundfunksendungen können sie nicht hören und beim Fernsehen bleibt ihnen wegen der sehr selten praktizierten Tonsubstitution durch Untertitel oder Gebärdensprachdolmetschereinblendungen der Inhalt unverständlich.

Die Verbände sinnesbehinderter Menschen schätzen den Programmanteil, der für sie nutzbar ist auf 0,3-5 %. Diese Angaben halte ich für realistisch und ich könnte keine Verhältnismäßigkeit erkennen, wenn dafür die volle Rundfunkgebühr gezahlt werden sollte.

Ich begrüße drei Ankündigungen, die Sie dem SZ Artikel zufolge gemacht haben. Zum einen stimme ich Ihnen zu, dass bei allen Überlegungen der soziale Aspekt selbstverständlich berücksichtigt werden sollte, d.h. für einkommensschwache behinderte Menschen muss es nach wie vor die Möglichkeit der kompletten Gebührenbefreiung geben.

Zum anderen freue ich mich, dass im Rahmen dieser Diskussion nun endlich das Ziel der Ausweitung des Angebotes für behinderte Menschen verstärkt in Angriff genommen werden soll. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass es aus meiner Sicht der falsche Weg ist, zunächst für eine nicht nutzbare Leistung Gebühren einzuziehen und bezahlte Leistung erst zeitversetzt zur Verfügung zu bestellen. Meiner Meinung nach kann eine Erhebung von Gebühren nur zeitgleich mit einer Ausweitung des barrierefreien Programmangebotes rechtlich vertreten werden.

Ich komme nun zu einem letzten Punkt, der für mich vor dem Hintergrund des paradigmatischen Wechsels in der Politik mit und für Menschen mit Behinderungen große Bedeutung hat: Sie haben angekündigt, dass Sie über die geplante Reform mit den Verbänden der behinderten Menschen und den Sozialverbänden diskutieren möchten. Ich möchte an Sie appellieren, bald und in jedem Fall vor dem Treffen der Regierungschefs am 17. Juni in diesen Dialog einzutreten. Denn behinderte Menschen sind "Experten in eigener Sache" und sollten in allen Bereichen öffentlich-rechtlichen Handelns nicht als Objekte, sondern als selbstbestimmende in sie betreffende Entscheidungen einbezogen werden. Sie werden gerade bei den Verbänden von Menschen mit Sinnesbehinderungen auch große Kompetenz finden für die Frage, wie Medienangebote barrierefrei gestaltet werden können.

Ich bitte Sie, mich über den weiteren Verlauf des Verfahrens zu unterrichten.

Mit freundlichen Grüßen

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