Informationen zum SGB IX

In diesem Artikel finden Sie Informationen zum Sozialgesetzbuch IX Am 11. Mai 2001 hat der Bundesrat dem SGB (Sozialgesetzbuch) IX zugestimmt.
Das bedeutet: das neue SGB IX wird zum 1. Juli 2001 in Kraft treten.




Zeitliche Folge zur Entstehung des SGB IX:



19. 5. 2000 Annahme des Entschließungsantrages
zum SGB IX im Bundestag

16. 1. 2001 1. Lesung im Bundestag


09. 3. 2001 Stellungnahme des
Bundesrates zum SGB IX


06. 4. 2001 Beschluss des SGB
IX im Bundestag (2. und 3. Lesung)


11. 5. 2001 Zustimmung des
Bundesrates


01. 7. 2001 das SGB IX tritt
in Kraft







Zur Erinnerung:


Die Bundesregierung hatte in ihrer
Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 unter Anderem versprochen:

Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen sollen
gefördert werden. Dem Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes für behinderte
Menschen soll Geltung verschafft werden.



Außerdem wollte sich die Bundesregierung für die Gleichberechtigung von Gebärdensprache
und deutscher Laut- und Schriftsprache einsetzen.

Mit dem SGB IX hat die Bundesregierung nun ihre Versprechen im Geltungsbereich
dieses Gesetzes eingelöst.


Dieser Aufsatz soll einen allgemeiner
Überblick über das neue SGB IX geben. Gleichzeitig wird genauer darauf eingegangen,
welche Bedeutung dieses Gesetz insbesondere für Gehörlose und Schwerhörige hat.
Dabei liegt der Schwerpunkt im Bereich der Auswirkungen auf die Anerkennung
der Gebärdensprache.


Petra Piel vom Deutschen Gehörlosen-Bund
und ich werden die Leserinnen und Leser der DGZ auch in späteren Beiträgen umfassender
über diese Neuerungen, vor allem im Hinblick auf die praktische Umsetzung, informieren.


Das SGB IX ist nicht leicht zu verstehen.
Es hat zwar den Anspruch, das geltende Rehabilitationsrecht zu vereinfachen.
Dennoch: es ist sehr umfangreich und nicht nur für den Laien schwer zu überschauen.
Das hat z.B. damit zu tun, dass dieses Gesetz durch Änderungsgesetze in zahlreiche
andere Gesetze eingreift. Um diese Änderungen richtig nachvollziehen zu können,
ist es erforderlich, die wesentlichen Inhalte der jeweiligen Gesetze zu kennen
bzw. gegenzulesen.


Aufbau des SGB IX


Artikel 1 des SGB IX enthält im
ersten Teil neue allgemeine Regelungen für behinderte und von Behinderung bedrohte
Menschen. Man kann es auch so sagen: Dieser erste Teil des Artikels 1 SGB IX
stellt das eigentliche neue Gesetz dar.


Den zweiten Teil des SGB IX bildet
das bisherige Schwerbehindertengesetz, das nun Teil des SGB IX geworden ist.


Anschließend ändern sogenannte Artikelgesetze
(Artikel 2 bis 59) zahlreiche Gesetze.


Art. 60 legt fest, dass das SGB IX
zum 1. Juli 2001 in Kraft tritt.



Art. 1 Teil 1 des SGB IX


bezieht sich auf Leistungen, mit
denen behinderungsbedingte Benachteiligungen vermieden, ausgeglichen oder überwunden
werden sollen.

Zuständig hierfür sind die sogenannten Rehabilitationsträger.


Wer diese Rehabilitationsträger sind, legt § 6 SGB IX fest.




§ 6


Rehabilitationsträger


(1) Träger der Leistungen zur
Teilhabe (Rehabilitationsträger) können sein



  1. die gesetzlichen Krankenkassen...
  2. die Bundesanstalt für
    Arbeit...

  3. die Träger der gesetzlichen
    Unfallversicherung...

  4. die Träger der gesetzlichen
    Rentenversicherung...

  5. die Träger der Kriegaopferversorgung...
  6. die Träger der öffentlichen
    Jugendhilfe...

  7. die Träger der Sozialhilfe...






Interessant ist, dass nun auch Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Jugendämter)
und Träger der Sozialhilfe (Sozialämter) zu dem Kreis der Rehabilitationsträger
gehören.

Auf diese Weise soll klargestellt werden, dass zu einer vollen Teilhabe am Leben
in der Gesellschaft nicht nur medizinische und berufliche Leistungen zur Rehabilitation
wichtig sind und es im Interesse der behinderten Menschen maßgeblich auf eine
Zusammenarbeit dieser Träger ankommt.


Was bedeutet das in der Praxis?

Das SGB IX bezieht sich ausschließlich auf diese Behörden und deren Leistungen.
Mit anderen Worten: Das SGB IX hat keine Bedeutung für andere Behörden, z.B.
Ordnungsämter, Straßenverkehrsämter oder Standesämter.


Ein wesentliches Ziel des SGB IX
ist es, den Zugang zu sozialen Leistungen zukünftig schneller und unbürokratischer
zu regeln. Deshalb gibt es im SGB IX den § 14, der festlegt, wie schnell Anträge
zu bearbeiten sind.


Damit es keine langen Wartezeiten
und mühsamen Behördengänge mehr gibt, sollen wohnortnahe gemeinsame Servicestellen
eingerichtet werden. Hier wird Beratung und Unterstützung erfolgen. Behinderte
Menschen müssen sich nicht mehr von Behörde zu Behörde schicken lassen. Sie
können zu einer Servicestelle gehen und diese bearbeitet den Antrag in Zusammenarbeit
mit den zuständigen Behörden.

Unter der Federführung der Landesversicherungsanstalten werden zur Zeit bundesweit
solche Servicestellen vorbereitet. Es soll sie in allen Kreisen und kreisfreien
Städten (insgesamt 309 Servicestellen in Deutschland) geben.


Keine Kommunikationsbarrieren
in den gemeinsamen Servicestellen


Die Servicestellen sollen barrierefrei sein. Das bedeutet, es soll keine Zugangs-
und Kommunikationsbarrieren geben. Rollstuhlfahrer sollen ohne Probleme in die
Servicestellen hineinkommen können und - das ist neu - das Personal soll
sich auf die Bedürfnisse hörgeschädigter Menschen einstellen
können. Hierzu gehört, dass sie darin geschult sind, deutlich zu sprechen
und sich auf die Bedürfnisse hörbehinderter Menschen einzustellen.
Außerdem muss sichergestellt sein, dass Gebärdensprachdolmetscherinnen
oder - dolmetscher schnell hinzugezogen werden können. Auf welche Weise
das passieren wird, bleibt abzuwarten.


Interessant ist, dass die Leistungen
zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben nun auch psychologische
und pädagogische Hilfen umfassen. Das SGB IX benennt hier unter anderem auch
Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der Kommunikation.
Das hat vor allem Bedeutung für ertaubte Menschen, aber auch für Gehörlose,
die ihre Kommunikationsmöglichkeiten erweitern möchten.


Als Leistungen zur Teilhabe am Leben
in der Gemeinschaft zählen ausdrücklich Hilfen zur Förderung der Verständigung
mit der Umwelt.

Genauer heißt es in § 57 SGB IX: Bedürfen hörbehinderte Menschen oder behinderte
Menschen mit besonders starker Beeinträchtigung der Sprachfähigkeit auf Grund
ihrer Behinderung zur Verständigung mit der Umwelt aus besonderem Anlass der
Hilfe Anderer, werden ihnen die erforderlichen Hilfen zur Verfügung gestellt
oder angemessene Aufwendungen hierfür erstattet.


Wichtig ist auch, dass im Rahmen
des SGB IX ein Verbandsklagerecht eingeführt worden ist. Hierzu heißt es in
§ 63, dass Bundes - und Landes-Verbände der behinderten Menschen an ihrer Stelle
und mit ihrem Einverständnis klagen können, wenn behinderte Menschen in ihren
Rechten nach dem SGB IX verletzt werden.



Art. 1 Teil 2 SGB IX


beinhaltet besondere Regelungen zur
Teilhabe schwerbehinderter Menschen (Schwerbehindertenrecht), also das zum 1.
Oktober 2000 novellierte Schwerbehindertengesetz.

Zum 1. Oktober 2000 war das Schwerbehindertengesetz durch viele Regelungen geändert
worden. Die Beschäftigungsquote und Höhe der Ausgleichsabgabe wurden neu geregelt.
Es wurden die Rechte der erwerbsfähigen schwerbehinderten Menschen gestärkt.
Verpflichtend sind nun Integrationsvereinbarung und betriebliche Prävention
(Vorbeugung). Die Stellung der Schwerbehindertenvertretung wurde verbessert.
Außerdem wurden Integrationsfachdienste in der Zuständigkeit der Arbeitsämter
flächendeckend ausgebaut und es besteht die Möglichkeit, Integrationsprojekte
zu fördern.

Dieses alles geschieht mit dem Ziel, dass die Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter
in den nächsten 2 Jahren um 50.000 abgebaut wird.

Nach Auskunft des Bundesarbeitsministeriums hat das zum 1. 10. 2000 novellierte
Schwerbehindertengesetz (Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter)
bisher schon großen Erfolg. Denn mittlerweile seien 15.000 schwerbehinderte
Menschen in Arbeit gebracht worden.



Arbeitsassistenz


Ganz wichtig ist, dass über das neue
Schwerbehindertengesetz die Möglichkeit zur Arbeitsassistenz geschaffen worden ist.



§ 102 Abs.
4


Schwerbehinderte Menschen haben
im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamtes (Anm.: die Hauptfürsorgestellen
heißen nun Integrationsämter) für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben
aus den ihm aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mitteln Anspruch
auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz.




Die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen
Hauptfürsorgestellen hat Empfehlungen für die Erbringung finanzieller Leistungen
zur Arbeitsassistenz Schwerbehinderter (Stand: 27. 10. 2000) herausgegeben.
In diesen Empfehlungen wird genauer beschrieben, was unter notwendiger Arbeitsassistenz
zu verstehen ist. Die Entwicklung dieser Empfehlungen haben der Deutsche Gehörlosen-Bund
und die Deutsche Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen und der Schwerhörigen
durch Stellungnahmen intensiv begleitet.

Eine persönliche Arbeitsassistenz ist notwendig, wenn die Unterstützung im Betrieb
oder der Dienststelle, zum Beispiel durch Kollegen, nicht mehr ausreicht, um
die geforderte Arbeitsleistung zu bringen. Die Aufgaben der Arbeitsassistenz
müssen daher über gelegentliche Handreichungen deutlich hinausgehen. Sie haben
zeitlich wie auf die Tätigkeit bezogen umfangreich zu sein. Der Schwerbehinderte
muss allerdings seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung erbringen können.
Das vom Schwerbehinderten erzielte Arbeitseinkommen und die Kosten für die Arbeitsassistenz
müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Die Leistungen der
Integrationsämter sind auf die ihnen jeweils zur Verfügung stehenden Mittel
der Ausgleichsabgabe beschränkt.


Für gehörlose bzw. hörgeschädigte
Menschen besteht nun die Möglichkeit, über Arbeitsassistenz einen Antrag bei
den Integrationsämtern auf regelmäßige Leistungen für Gebärdensprachdolmetscherinnen
oder - dolmetscher zu stellen. Ähnliches gilt auch für hochgradig schwerhörige
oder ertaubte Menschen, die jemanden benötigen, der für sie mitschreibt oder
auch durch langsames deutliches Sprechen unterstützt.


Es können durchschnittlich maximal
monatlich DM 2.000,- beantragt werden. Gehörlose Berufstätige stellen den Antrag
selbst und müssen hierzu das Einverständnis ihres Arbeitgebers haben. Wenn der
Antrag bewilligt worden ist, sind sie auch dafür zuständig, Dolmetscherinnen
oder Dolmetscher zu bestellen und mit ihnen abzurechnen. Sie können aber auch
die Zahlung der Dolmetsch-Honorare durch die Integrationsämter an den jeweiligen
Dolmetschdienst abtreten.

Die Höhe des zu zahlenden Stundesatzes entscheidet das jeweilige Bundesland.


Was auch interessant ist: die Möglichkeit,
Arbeitsassistenz zu erhalten, ist als sogenannter Rechtsanspruch gestaltet!
Allerdings prüfen die Hauptfürsorgestellen Notwendigkeit und Umfang der Arbeitsassistenz.
Außerdem hängt die Zuerkennung von Arbeitsassistenz davon ab, ob genügend Mittel
aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehen.

Übrigens gibt es in diesem Zusammenhang noch eine ganz wichtige Neuerung: Auch
selbstständige Schwerbehinderte haben Anspruch auf Arbeitsassistenz!



Arbeitsassitenz betrifft auch die Nutzung des Bildtelefon-Dolmetschdienstes Telesign:


Gehörlose, die im Berufsleben Bildtelefon-Dolmetschdienste
über Telesign in Anspruch nehmen möchten, können seit Neuestem
dieses auch über Assistenz zu einem monatlichen Betrag von DM 600,- bei den
Integrationsämtern Hauptfürsorgestellen) beantragen. (Genauere Informationen
hierzu erhalten Sie in einer späteren Ausgabe der DGZ oder direkt über
die Deutsche Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen und der Schwerhörigen,
Paradeplatz 3, 24768 Rendsburg, Fax 04331/ 589753 oder e-mail: info@deutsche-gesellschaft.de.)

Die Möglichkeit, Dolmetscherinnen
bzw. Dolmetscher einzusetzen und über Arbeitsassistenz zu bezahlen setzt auch
nicht voraus, dass man bereits einen Arbeitsplatz hat. § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB
IX eröffnet Arbeitssuchenden die Möglichkeit, zur Erlangung eines Arbeitsplatzes
Arbeitsassistenz zu erhalten. Dieses betrifft z.B. den Einsatz von Gebärdensprachdolmetscherinnen
und - dolmetschern bei Bewerbungsgesprächen um einen Arbeitsplatz. In der Begründung
zum SGB IX heißt es: Besonders betroffenen Schwerbehinderten sollen ausbildungs-
oder berufsbegleitende persönliche Hilfen zur Verfügung stehen.

Allerdings sind solche Leistungen auf die Dauer von 3 Jahren befristet.



Art. 2 SGB IX


enthält Änderungen des Ersten Buches
Sozialgesetzbuches.


Hier finden wir die Grundlage zu
einer wesentlichen Verbesserung der Situation gehörloser Menschen:




Art. 2 3.b)

(Änderung des § 17 SGB
I)


Nach Abs. 1 wird folgender
Absatz 2 eingefügt:


Hörbehinderte Menschen haben
das Recht, bei der Ausführung von Sozialleistungen, insbesondere auch
bei ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen, Gebärdensprache zu verwenden.
Die für die Sozialleistung zuständigen Leistungsträger sind verpflichtet,
die durch die Verwendung der Gebärdensprache und anderer Kommunikationshilfen
entstehenden Kosten zu tragen.




Das bedeutet: sobald Gehörlose in
Kontakt mit den jeweiligen Rehabilitationsträgern treten und sich dort beraten
bzw. unterstützen lassen, haben sie das Recht, zur Absicherung der Kommunikation
Gebärdensprachdolmetscherinnen bzw. - dolmetscher hinzuziehen. Die jeweils angegangene
Institution ist dann auch dazu verpflichtet, die Dolmetsch-Honorare zu bezahlen.


Dieses soll auch für die Ausführung
von Sozialleistungen
gelten. Hierbei handelt es sich vor allem um Dolmetsch-Einsätze,
die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Sozialleistung stehen.

Beispiele hierfür können sein
die Durchführung von Reha-Maßnahmen in Zuständigkeit der genannten Reha-Träger
oder Schulungsmaßnahmen, bei denen dafür Sorge zu tragen ist, dass die notwendige
Kommunikation auch hinsichtlich des zu behandelnden Stoffs gewährleistet ist.


Insgesamt wird es darauf ankommen,
in der späteren Praxis zu beobachten, wie weit ãAusführung von SozialleistungenÒ
ausgelegt wird und die Anwendung dieser Regelung kritisch zu begleiten.


Sehr erfreulich ist die Tatsache,
dass § 17 Abs. 2 SGB I ausdrücklich das Recht zum Einsatz von Dolmetscherinnen
und Dolmetschern und deren Finanzierung durch die Reha-Träger bei ärztlichen
Untersuchungen und Behandlungen umfasst. Dadurch ist eine langjährige Forderung
des Deutschen Gehörlosen-Bundes umgesetzt worden.



Art. 20 SGB IX


ändert das Arbeitsgerichtsgesetz.
In § 12 wird es nun einen Abs. 5b geben: ÒKosten für vom Gericht herangezogene
Gebärdensprachdolmetscher für hörbehinderte Menschen werden nicht erhoben.Ó


Gehörlose müssen also auch dann die Kosten für das Gebärdensprachdolmetschen
nicht zahlen, wenn sie ihren Prozess beim Arbeitsgericht verlieren.

Auf diesen Weise erfüllt der Gesetzgeber eine weitere wesentliche Forderung
gehörloser Menschen.

Diese Regelung betrifft allerdings nur die Arbeitsgerichte. Der Grund hierfür
liegt darin, dass der Gesetzgeber aufgrund seines Zuständigkeitsbereiches im
Rahmen des SGB IX zunächst nur diese Angelegenheit regeln wollte.


Art. 36 SGB IX


ändert § 48 a des Berufsbildungsgetzes.


Bei Prüfungen sollen die besonderen Verhältnisse behinderter Menschen berücksichtigt
werden. Dies gilt insbesondere für die zeitliche und sachliche Gliederung der
Ausbildung, die Dauer von Prüfungszeiten, die Zulassung von Hilfsmitteln und
die Inanspruchnahme von Hilfeleistungen Dritter wie Gebärdensprachdolmetscher
für hörbehinderte Menschen
. Gehörlose haben also nun im Geltungsbereich
des Berufsbildungsgesetzes bei mündlichen Prüfungen Anspruch auf Einsatz und
Finanzierung von Gebärdensprachdolmetscherinnen und - dolmetschern.


Wer hat zukünftig Anspruch
auf Einsatz und Finanzierung von Gebärdensprachdolmetscherinnen und - dolmetschern?


Dieses ist eine überaus wichtige
Frage.

Denn viele Gehörlose kennen die Erfahrung, dass mitunter sogar durch das Gesundheitsamt
geprüft wurde, ob sie überhaupt Gebärdensprache benötigen. Hier war es dem Deutschen
Gehörlosen-Bund stets wichtig, Klarheit herzustellen.


Für manche ist vielleicht verwirrend,
dass im SGB IX stets von hörbehinderten Menschen die Rede ist.


Für diese ÒneutraleÓ Formulierung
hat sich jedoch auch der Deutsche Gehörlosen-Bund stark gemacht. Denn einerseits
sollen neben gehörlosen ebenfalls hochgradig schwerhörige bzw. resthörige Menschen
die jeweiligen Ansprüche nutzen können. Andererseits wissen wir, dass der Begriff
Gehörlosigkeit sowohl in der Medizin als auch in der Hörgeschädigtenpädagogik
immer mehr durch die Bezeichnung Hörschädigung verdrängt wird.

Es soll vermieden werden, dass mit dem Argument, es gibt (bald) keine Gehörlosen
mehr, berechtigte Ansprüche auf Gebärdensprache ausgehebelt werden.


Der Deutsche Gehörlosen-Bund hat
sich in seinem Bestreben, ein eigenes Merkzeichen Gl zu erhalten, durchsetzen
können. Durch dieses Merkzeichen erhält der berechtigte Personenkreis die Möglichkeit,
die Notwendigkeit zum Einsatz von Dolmetscherinnen bzw. Dolmetschern eindeutig
nachzuweisen.

Dieses Merkzeichen ist sehr hilfreich, soll jedoch vorläufig zur Nutzung von
Dolmetschdiensten bzw. deren Finanzierung im Zuständigkeitsbereich der Reha-Träger
nicht zwingend erforderlich sein.


In diesem Zusammenhang steht

die Änderung der Ausweisverordnung durch Art. 49,die
die Möglichkeit eröffnet, sich in den Schwerbehindertenausweis das
Merkzeichen Gl eintragen zulassen.

Der Verweis an dieser Stelle auf § 145 SGB IX (Unentgeltliche Beförderung)
macht deutlich, dass der Personenkreis hörgeschädigter Menschen, dem
bisher unentgeltliche Beförderung zuerkannt wurde, zukünftig auch
das Merkzeichen Gl erhält.



Zusammenfassung


Das SGB IX eröffnet an vielen Stellen
neue Möglichkeiten für hörbehinderte Menschen. Ganz besonders erfreulich ist,
dass nun sowohl Einsatz als auch Finanzierung von Gebärdensprachdolmetscherinnen
und - dolmetschern im Geltungsbereich dieses Gesetzes geregelt sind.


Allerdings bedeutet dieses nicht,
dass sämtliche Leistungsbereiche der Eingliederungshilfe die Finanzierung von
Dolmetschdiensten einschließen.

Denn das SGB IX ist nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, zum Leistungsgesetz
geworden. Leistungsgesetz hätte bedeutet, dass alle Hilfen, die behinderte Menschen
zum Ausgleich ihrer Behinderung benötigen, bezahlt werden.

Am Beispiel der Gehörlosen hätte ein solches Leistungsgesetz die Folge, dass
nicht nur Dolmetscherinnen und Dolmetscher bei der Beratung durch Reha-Träger
und der Ausführung deren Leistungen bezahlt werden, sondern darüber hinaus auch
Dolmetschhonorare bei allen anderen Behörden, Volkshochschulbesuchen, beim Autokauf,
beim Rechtsanwalt usw. Dieses Ziel wurde aus Kostengründen aufgegeben. Es gibt
eine Kostenschätzung, die davon ausgeht, dass ein Leistungsgesetz bei jährlich
15 Milliarden DM Aufwendungen für Eingliederungshilfe 500 Millionen DM Mehrkosten
nach sich ziehen würde.


So heißt es in der Begründung zum
SGB IX, dass hörbehinderten Menschen im Sozialbereich ermöglicht wird, im Verkehr
mit öffentlichen Einrichtungen die Gebärdensprache zu verwenden. Dies soll nicht
nur im Verfahren der Sozialverwaltung, sondern auch bei der Ausführung aller
Sozialleistungen gelten. Für die Verständigung in anderen Fällen - s.o. - werden
die erforderlichen Hilfen oder die Erstattung der notwendigen Aufwendungen hierfür
als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erbracht. Auf diese
bezieht sich § 57 SGB IX (s.o.). Sie setzen dann wie bisher die Bedürftigkeit
des Betroffenen voraus.


Das SGB IX bedeutet keine endgültige
Anerkennung der Gebärdensprache. Für den Umgang mit Rehabilitationsträgern ist
die Gebärdensprache jedoch jetzt anerkannt.


Das ist ein großer Erfolg. Und es
ist ein ebenso großer Erfolg, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland und auch in der Geschichte des Deutschen Gehörlosen-Bundes Òunsere
GebärdenspracheÓ in einem Bundesgesetz verankert ist!


Dass die Bundesregierung bereit ist,
zur Durchsetzung der Gebärdensprache Haushaltsmittel einzuplanen, macht die
Kostenschätzung zum SGB IX deutlich. Es wird davon ausgegangen, dass die Folgekosten
für die Inanspruchnahme von Dolmetschdiensten jährlich ca. DM 30 Mio. betragen
werden. Davon werden voraussichtlich DM 20 Mio. auf die gesetzliche Krankenversicherung
entfallen.


Der Deutsche Gehörlosen-Bund kann
mit Recht froh sein, dass seine jahrlange intensive Arbeit und sein Beharren
auf die Anerkennung der Gebärdensprache Früchte trägt.


Dank gilt vielen, die diesen langen
Weg unterstützt haben: Politikerinnen und Politikern, der Bundesregierung, dem
Bundesbeauftragten für behinderte Menschen, vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
in unseren Verbänden und nicht zuletzt vielen Gehörlosen, die uns den Rücken
gestärkt haben.


Es besteht dennoch kein Anlass, sich
auf den Lorbeeren auszuruhen! Zukünftig ist wichtig, das SGB IX mit Leben zu
füllen. Über 10 Jahren zur Entstehung des SGB IX werden wohl noch viele Jahre
der Klärung wichtiger Fragen zur Umsetzung dieses Gesetzes folgen.


Zukünftig wird es wichtig sein, die
Anerkennung der Gebärdensprache auch außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der
Rehabilitationsträger voranzutreiben. So werden nach dem Willen der Regierungskoalition
weitere erforderliche Regelungen zur Anerkennung der Gebärdensprache z.B. im
Verfahrensrecht außerhalb des Sozialbereichs und bei Gerichtsverhandlungen in
einem zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetz sowie im Bundesgleichstellungsgesetz
für Menschen mit Behinderung getroffen werden.


Da eine grundsätzliche Anerkennung
der Gebärdensprache, die z.B. auch den schulischen Bereich einschließt,
Sache der Länder ist, wird es zukünftig ebenso wichtig sein, das Entstehen
von Landesgleichstellungsgesetzen bundesweit durch Stellungnahmen, Schreiben
an Politikerinnen und Politiker oder durch spezielle Veranstaltungen zu unterstützen.

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